
mib insight – Gesellschafter und Geschรคftsfรผhrer Prof. Dr. Joachim Zรผlch
06/11/2024
mib insight – Gesellschafter und Geschรคftsfรผhrer Prof. Dr. Joachim Zรผlch
06/11/2024Einleitung
Wir erleben derzeit wie rasant sich Kรผnstliche Intelligenz (KI) weiterentwickelt und in diesem Zuge immer mehr in die Unternehmensprozessen Einzug hรคlt. Gleichzeitig wรคchst das Bewusstsein fรผr die Risiken von KI โ von diskriminierenden Entscheidungsalgorithmen bis hin zu Sicherheitslรผcken. Die Europรคische Union reagierte darauf mit dem EU AI Act, dem weltweit ersten umfassenden KI-Regulierungsrahmen. Dieser soll sicherstellen, dass KI-Systeme transparent, rechenschaftspflichtig und sicher eingesetzt werden, um Grundrechte zu schรผtzen und eine ethisch vertretbare Nutzung zu fรถrdern. Fรผr Unternehmen bedeutet das erhebliche Anforderungen und Herausforderungen, insbesondere wenn sie sogenannte โhochriskanteโ KI-Systeme bereitstellen oder nutzen.
Die Einhaltung des AI Act ist komplex und geht tief in die Entwicklungs- und Betriebsprozesse von KI ein. Organisationen mรผssen nicht nur technische, sondern auch organisatorische Strukturen aufbauen, um gesetzliche Pflichten zu erfรผllen und hohe Buรgelder oder Imageverluste zu vermeiden. Hier kommt der neue Standard ISO 42001 ins Spiel. Er kann als Schlรผsselwerkzeug dienen, um Risiken zu managen, gesetzliche Vorgaben zu erfรผllen und gleichzeitig Vertrauen in KI-Systeme zu schaffen. In diesem Artikel betrachten wir, wie ISO 42001 und der EU AI Act ineinandergreifen, welche Vorteile sich daraus ergeben und wie Unternehmen praktisch vorgehen kรถnnen.
Was ist der EU AI Act?
Der EU AI Act (deutsch: KI-Verordnung) ist ein europรคisches Regulierungsvorhaben, das einheitliche Regeln fรผr die Entwicklung, das Inverkehrbringen und den Einsatz von KI in der EU schafft. Die Verordnung verfolgt einen risikobasierten Ansatz:
- Unzulรคssiges Risiko: KI-Praktiken, die als unannehmbar gelten und verboten sind (z. B. bestimmte Formen von Social Scoring).
- Hohes Risiko: KI-Systeme mit erheblichem Einfluss auf Sicherheit, Gesundheit oder Grundrechte (z. B. in Medizin, Personalmanagement, Kreditvergabe). Sie unterliegen strengen Auflagen und behรถrdlicher รberwachung.
- Begrenztes Risiko: KI-Anwendungen mit mittlerem Risiko, bei denen bestimmte Transparenzmaรnahmen einzuhalten sind.
- Minimales Risiko: Die meisten alltรคglichen KI-Systeme (z. B. Spam-Filter), die keine besonderen Pflichten haben.
Vor allem fรผr hochriskante KI-Systeme sieht der AI Act umfangreiche Pflichten vor, darunter:
- Einrichtung eines Risikomanagements und laufender รberprรผfung.
- Verwendung hochwertiger, mรถglichst verzerrungsfreier Daten.
- Technische Dokumentation und Transparenzmaรnahmen.
- Implementierung menschlicher Aufsicht.
- Gewรคhrleistung von Genauigkeit, Robustheit und Cybersicherheit.
- Durchfรผhrung einer Konformitรคtsbewertung (CE-Kennzeichnung) vor dem Inverkehrbringen.
Unternehmen stehen damit vor der Herausforderung, ihre KI-Prozesse umfassend anzupassen und zu dokumentieren. Dabei kann ISO 42001 unterstรผtzen, indem die ISO-Norm einen strukturierten Rahmen fรผr verantwortungsvolle KI vorgibt.
Was ist ISO 42001?
ISO/IEC 42001 ist der erste internationale Managementsystem-Standard speziell fรผr Kรผnstliche Intelligenz. Er wurde Ende 2023 verรถffentlicht und soll Unternehmen helfen, KI-Systeme sicher, ethisch und rechtskonform zu entwickeln und einzusetzen. รhnlich wie ISO 9001 oder ISO 27001 verfolgt ISO 42001 einen ganzheitlichen Ansatz, der sich an der High Level Structure (HLS) orientiert.
Die Hauptziele von ISO 42001 sind:
- Aufbau vertrauenswรผrdiger, transparenter und verantwortungsvoller KI-Systeme.
- Ethische Grundsรคtze wie Fairness, Nichtdiskriminierung und Schutz der Privatsphรคre zu wahren.
- Ein effektives Risikomanagement zu etablieren, um KI-Risiken zu identifizieren und zu mindern.
- Gesetzliche und regulatorische Anforderungen (z. B. den EU AI Act) in den KI-Prozessen zu berรผcksichtigen.
- Das Vertrauen von Nutzern, Kunden und Aufsichtsbehรถrden zu stรคrken.
ISO 42001 gilt fรผr alle Phasen des KI-Lebenszyklus โ von der Planung รผber die Entwicklung bis hin zum Betrieb und zur Wartung von KI-Systemen. Der Standard lรคsst sich in andere Managementsysteme integrieren und eignet sich fรผr Organisationen jeder Grรถรe. Wรคhrend er selbst freiwillig ist, kann man sich bei Bedarf zertifizieren lassen, um nach auรen hin die Einhaltung der ISO-Anforderungen zu belegen.
Wie hilft ISO 42001 Unternehmen, den AI Act einzuhalten?
Sowohl der EU AI Act als auch ISO 42001 betonen Transparenz, Risikomanagement, Verantwortlichkeit und Sicherheit bei KI. Sie verfolgen damit รคhnliche Ziele. Ein nach ISO 42001 aufgebautes KI-Managementsystem unterstรผtzt Unternehmen in zentralen Bereichen:
- Risikomanagement-System
Der AI Act schreibt fรผr Hochrisiko-KI ein kontinuierliches Risikomanagement vor. ISO 42001 stellt die organisatorische Grundlage bereit, indem es einen durchgehenden Risikomanagement-Prozess fรผr alle KI-Systeme einfordert. So kรถnnen Firmen die gesetzliche Pflicht effizient erfรผllen. - Datenqualitรคt und Bias-Kontrolle
Fรผr Hochrisiko-KI setzt der AI Act hohe Anforderungen an Datenreprรคsentativitรคt und -qualitรคt, um Diskriminierung zu vermeiden. ISO 42001 fokussiert auf Daten-Governance und verlangt, dass Organisationen hochwertige, mรถglichst verzerrungsfreie Datensรคtze verwenden und systematisch prรผfen. Dadurch wird die Einhaltung der rechtlichen Datenanforderungen erleichtert. - Dokumentation und Transparenz
Der AI Act fordert umfangreiche technische Dokumentationen und Nachvollziehbarkeit fรผr Hochrisiko-KI. ISO 42001 verlangt von Unternehmen, alle relevanten Schritte in KI-Prozessen zu dokumentieren (Trainingsdaten, Modelle, Entscheidungen). Dieses Dokumentations-Framework ist die ideale Basis, um die vorgeschriebenen Transparenzmaรnahmen umzusetzen. - Menschliche Aufsicht und Governance
Laut AI Act darf KI nicht vรถllig unkontrolliert Entscheidungen treffen. ISO 42001 verlangt klare Verantwortlichkeiten und menschliche Kontrollmechanismen (Human-in-the-loop). Firmen, die diesen ISO-Ansatz verankern, erfรผllen damit fast automatisch die Vorgabe, dass ein Mensch KI-Systeme รผberwacht und notfalls eingreift. - Sicherheit und Robustheit
Beide Regelwerke legen Wert auf IT-Sicherheit und zuverlรคssige KI. ISO 42001 definiert konkrete Anforderungen an die Robustheit von KI-Systemen, regelmรครige Tests und Sicherheitsmaรnahmen. So deckt ein Unternehmen auch die gesetzlichen Vorgaben des AI Act zu Sicherheit und Manipulationsschutz ab.
ISO 42001 ersetzt jedoch nicht das Gesetz. Beispielsweise sind die formale Konformitรคtsbewertung und die CE-Kennzeichnung im AI Act geregelt und werden durch ISO 42001 nicht abgedeckt. Auch verbotene KI-Anwendungen sind ausschlieรlich in der Verordnung definiert. Dennoch bietet ISO 42001 einen รคuรerst hilfreichen Managementrahmen, um die meisten Pflichten des AI Act strukturiert zu erfรผllen.
Vergleichsmatrix aus Perspektive des AI Act
Die folgende Tabelle zeigt, wie die wesentlichen Anforderungen des EU AI Act durch ISO 42001 unterstรผtzt werden und wo noch Lรผcken bestehen, die separat zu beachten sind:
Anforderung des EU AI Act | ISO 42001-Unterstรผtzung |
---|---|
Risikomanagement (Art. 9) | Voll abgedeckt durch die Vorgaben zu Risikomanagementprozessen. ISO 42001 fordert ein kontinuierliches Identifizieren und Bewerten von KI-Risiken. |
Datenqualitรคt und Bias-Vermeidung (Art. 10) | Voll abgedeckt. ISO 42001 legt Wert auf Daten-Governance und Fairness. Unternehmen implementieren Verfahren, die verzerrte Daten erkennen und minimieren. |
Technische Dokumentation (Art. 11) | Weitgehend abgedeckt. ISO 42001 verlangt transparente und nachvollziehbare Dokumentation der KI-Systeme. |
Protokollierung/Logging (Art. 12) | Teilweise abgedeckt. ISO 42001 sieht Aufzeichnungen vor, nennt aber keine Mindestaufbewahrungsdauer. Der AI Act fordert mindestens 6 Monate Log-Aufbewahrung. |
Transparenzpflichten (Art. 52) | Teilweise abgedeckt. ISO 42001 fรถrdert eine generelle Informationspflicht. Spezifische Kennzeichnungspflichten gegenรผber Endnutzern sind gesetzlich vorgegeben. |
Menschliche Aufsicht (Art. 14) | Voll abgedeckt. ISO 42001 verlangt eine klare Governance-Struktur und menschliche Kontrollmechanismen (Human-in-the-loop). |
Sicherheit und Robustheit (Art. 15) | Weitgehend abgedeckt. ISO 42001 integriert Sicherheits- und Zuverlรคssigkeitsanforderungen als Teil des Risikomanagements. |
Konformitรคtsbewertung und CE-Kennzeichnung (Art. 16-20) | Nicht direkt abgedeckt. ISO 42001 bietet den internen Rahmen, ersetzt aber keine behรถrdliche Prรผfung oder EU-Konformitรคtserklรคrung. |
Verbotene Praktiken (Art. 5) | Nicht abgedeckt. Nur im AI Act geregelt. ISO 42001 verlangt jedoch, dass Unternehmen ihre Rechts- und Ethikpflichten kennen und in den Prozess integrieren. |
Praktische Umsetzung
Damit ISO 42001 tatsรคchlich als Sprungbrett fรผr die AI-Act-Compliance dient, sollten Unternehmen einen konkreten Fahrplan entwickeln:
- Analyse des KI-Portfolios
Ermitteln Sie, welche KI-Anwendungen bereits im Einsatz sind oder geplant sind. Klรคren Sie, ob diese als Hochrisiko-Anwendungen einzustufen sind. - Aufbau oder Integration eines KI-Managementsystems
Richten Sie ein KI-Managementsystem gemรคร ISO 42001 ein oder integrieren Sie dessen Anforderungen in bestehende Managementsysteme (z. B. Qualitรคts- oder Informationssicherheitsmanagement). - Governance-Struktur und Rollen
Definieren Sie klare Verantwortlichkeiten, etwa die Rolle eines KI-Compliance-Beauftragten, und stellen Sie sicher, dass das Top-Management die Ziele und Pflichten unterstรผtzt. - Risikomanagement und Daten-Governance etablieren
Implementieren Sie Risikobewertungen, legen Sie Datenqualitรคtskriterien fest und fรผhren Sie transparente Dokumentationsprozesse fรผr Ihre KI-Systeme ein. - Transparenz und Dokumentation
Sorgen Sie fรผr nachvollziehbare Aufzeichnungen und angemessene Transparenz fรผr Nutzer. Stimmen Sie Ihre Log-Daten-Aufbewahrung mit den Mindestfristen des AI Act ab. - Menschliche Kontrolle sicherstellen
Integrieren Sie Mechanismen, damit Menschen die Entscheidungen der KI prรผfen oder eingreifen kรถnnen. Etablieren Sie Schulungen, damit diese Rollen effektiv ausgefรผhrt werden kรถnnen. - Kontinuierliche Verbesserung und Audits
Halten Sie Ihr KI-Managementsystem aktuell, รผberprรผfen Sie es regelmรครig (intern und extern) und passen Sie es an neue Anforderungen oder technische Entwicklungen an.
Vorteile fรผr Unternehmen
- Risikominimierung und Rechtssicherheit
Wer ISO 42001 umsetzt, minimiert das Risiko von Gesetzesverstรถรen und schafft eine solide Basis fรผr die Einhaltung des AI Act. So lassen sich Buรgelder, Produktverbote oder Reputationsschรคden vermeiden. - Effizienz und Vertrauen
Ein strukturiertes KI-Managementsystem verbessert die Effizienz, da Rollen, Prozesse und Zustรคndigkeiten klar geregelt sind. Zudem stรคrkt es das Vertrauen bei Kunden, Geschรคftspartnern und Aufsichtsbehรถrden. - Wettbewerbsvorteil
Unternehmen, die frรผhzeitig auf verantwortungsvolle KI setzen, kรถnnen sich vom Wettbewerb abheben. In Ausschreibungen oder im internationalen Geschรคft kann ein zertifiziertes KI-Managementsystem zum entscheidenden Pluspunkt werden. - Zukunftssicherheit
ISO 42001 unterstรผtzt nicht nur beim AI Act, sondern bereitet auch auf kรผnftige gesetzliche Anforderungen und internationale KI-Regulierungen vor. Unternehmen bleiben so flexibel und anpassungsfรคhig in einem dynamischen Umfeld.
Fazit
Der EU AI Act stellt Unternehmen vor die Aufgabe, KI-Systeme sicher, transparent und respektvoll gegenรผber Grundrechten einzusetzen. ISO 42001 bietet dafรผr einen strukturierten, praxisnahen Rahmen, der viele zentrale Vorgaben der Verordnung abdeckt. Durch die Implementierung des Standards schaffen Organisationen organisatorische und technische Voraussetzungen fรผr umfassende KI-Compliance.
Zwar ersetzt ISO 42001 das Gesetz nicht und bestimmte Rechtsakte (z. B. Konformitรคtsbewertungen, CE-Kennzeichnungen, Verbote) bleiben im AI Act verankert. Doch der neue Standard liefert einen klaren Werkzeugkasten, mit dem Firmen ihre KI-Prozesse professionalisieren und Nachweisstrukturen etablieren kรถnnen. Wer frรผhzeitig handelt, profitiert von mehr Rechtssicherheit, minimiert Haftungsrisiken und stรคrkt zugleich das Vertrauen in die eigenen KI-Lรถsungen. Kurz: ISO 42001 ist kein Allheilmittel, aber ein ideales Vehikel, um den Anforderungen des EU AI Act erfolgreich zu begegnen und KI nachhaltig im Unternehmen zu verankern.